Kleiderordnungen waren nur mehr verzweifelte Versuche des Adels, seine immer weiter schwindenden Privilegien zu behalten und sich zumindest optisch von den immer selbstbewussteren Stadtbürgern abzuheben. Ebenso waren sie Regelungen der konservativen Stadträte und Moralisten, die sich gegen die „ungestüme Jugend“ und ungeliebte Neureiche durchzusetzen versuchten. Ziel dieser Kleiderordnungen war aber weniger die prinzipielle Regelung von Farben, etwa wegen ihres Symbolgehalts, als vielmehr die Eindämmung von Prunk.[1] Auch im beginnenden 16. Jahrhundert wurden immer noch Forderungen nach strengeren Kleiderordnungen laut, da sich kaum jemand an bestehende Regelungen hielt. Der Wunsch nach schicker Kleidung war stärker als der Druck der konservativen Ordnungen.[2] Die Historikerin Lieselotte C. Eisenbart bringt die Sachlage auf den Punkt:
„Die Wandlung des Zeitstiles und des Geschmackes, der Wechsel der Moden, der Stoffe und Formen ist durch keine Verordnung aufzuhalten; und kein noch so ausgeklügeltes Gesetz vermag das Bedürfnis des Menschen nach Absonderung und Nachahmung, nach Auszeichnung und Anpassung zu zerstören oder auch nur tiefer zu beeinflussen.“[3]
Das bedeutet aber nicht, dass Kleiderfarben keine besondere Bedeutung haben konnten. So war z.B. eine schwarze Schaube in Kombination mit einer roten Kappe die Kleidung der Gelehrten und der Studenten, und das über die Grenzen von Ländern und Städten hinaus.[4] Damit konnte man sich zwar nicht „ausweisen“, aber man konnte davon ausgehen, dass die Farbkombination bekannt war, wie heute die Farbkombination gelb und blau an einen Ikeamitarbeiter oder gelb und schwarz an einen Postboten erinnert.
Es gibt keine
Quellen darüber, dass eine besondere Farbsymbolik als Leitlinie ziviler
Kleidung existierte, sehr wohl aber in der Heraldik. Damit kann spekuliert
werden, dass Farbbedeutungen bekannt waren, eventuell auch in verschiedenen
Situationen genutzt wurden, sicherlich aber eher im Bereich der Kunst als bei der Wahl der
alltäglichen Kleidung.
Anmerkung: Auch im zivilen Bereich, konnten Farben und die Symbolik eine wichtige Rolle spielen. Wenn auch vielleicht nicht "offiziel", so hatten bestimmte Farben, auch oft bestimmte Symbolfunktionen und haben etwas ausgedrückt, auch wenn die Grenzen natürlich verwischen.
Zum Bsp. hatten Scharfrichter in einigen Städten Rot zu tragen, Juden Gelb und Grün stand für Jugend und Agilität.
(Vergleichbar mit alten Säcken, die sich einen Porsche kaufen um Jung zu sein. :) )
Die
Verwendung der Farben unterlag stark der angesagten Mode, die wiederum davon
abhängig war, welche Länder ihre Waren in das Reich lieferten. Generell gilt
aber, dass die Deutschen in der zivilen Mode der Epochenwende kaum eine eigene
Tracht bzw. einen eigenen Stil hatten, die sie als Deutsche ausgewiesen hätten.
Deshalb wurde die Kleidung der Deutschen durch die Trachten verschiedener
Nationen beeinflusst, eine Tatsache, die bereits die Zeitgenossen kritisierten.
Sie warfen den Deutschen vor, sie verhielten sich bezüglich ihrer Kleidung wie
Affen, die alles nachzuahmen pflegten, was sie sähen. So haben sie aus der
polnischen, böhmischen, ungarischen, spanischen, französischen, englischen,
sogar türkischen Mode übernommen, was ihnen gefiel.[5]
Dennoch gibt es einige wenige Kleidungsstücke, die nach diversen Abbildungen
typisch deutsch zu sein scheinen, wie z.B. die Fransengugel, die auf keiner
Abbildung französischer, burgundischer, englischer, flämischer oder
italienischer Künstler zu sehen ist. Anders herum sind aber kaum
Kleidungsstücke (gemeint sind Schecken, Schauben, Wämser, Hosen, Gugeln und
Mäntel sowie diverse Kappen, Mützen, Hüte und Überwürfe), geschweige denn
Farben, bei der Darstellung eines Deutschen in der zweiten Hälfte des 15.
Jahrhunderts auszuschließen.
Anmerkung: Auf den Abbildungen aus dem dt. sprach. Raum lassen sich neben der Gugel mit Fransen, noch andere "deutsche" Merkmale feststellen:
Schecke mit bestimmter Faltenlegung, und einem bestimmten Ärmelschnitt usw.
Wämser ohne "Puffärmel" und eher rundem Nackenausschnitt, und anderen Verschlussarten, sowie Schnürungen.
Schamkapsel der Hose die nur am Wams befestigt werden und stets in ein Dreieck, beim Wamsverschluss münden.
Will man nun
die Farbpalette der Alltagskleidung um das Jahr 1475 rekonstruieren, steht man
in der Regel vor dem Problem, hauptsächlich mit Abbildungen und
Kleiderordnungen arbeiten zu müssen. Dass Kleiderordnungen bei der
Rekonstruktion eines Kleidungsstils kaum eine verlässliche Quelle darstellen,
ist bereits erwiesen. Ebenso problematisch sind die spätmittelalterlichen Bildquellen.
Im Bereich der Kunst zeigt sich nämlich der mittelalterliche Hang zur
Farbsymbolik in besonderem Maße. So hat man versucht, durch Größenunterschiede
und durch Farbe Bedeutungen und Sinnzusammenhänge herzustellen. Das lässt zwar
in Zuge der Renaissance etwas nach, ist jedoch z.B. bei Buchillustrationen noch
deutlich erkennbar. Darum kann man davon ausgehen, dass die Farbigkeit der Abbildungen
ein künstlerisches Mittel, aber kaum ein verlässlicher Beweis für einen
typischen Kleidungsstil ist. Anders verhält es sich bei Dokumenten, die kaum
einen Ermessensspielraum offen lassen, wie z.B. Inventarlisten, Handelsbriefe,
Nachlassbriefe und konkrete Objektfunde.
Als eine besonders interessante Arbeit soll hier die Dissertation Christina Burdes hervorgehoben werden, die über die Bedeutung der Farben, insbesondere der Farbe Schwarz, geforscht hat. Sie hat dazu Nachlass- und Zubringinventare untersucht, also Auflistungen von allem Hab und Gut im Falle eines Todes oder einer Vermählung. Ein wichtiges Ergebnis ist hier, dass in fast jeder Zusammenstellung mindestens eine schwarze Schaube bzw. Hose, Wams etc. vorkommt.[6] Eine weitere Erkenntnis ist, dass ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert schlichte Farben, Schwarz, Grau, Braun, immer deutlicher bevorzugt wurden. Schlichte, dunkle Kleidungsfarbe galt als sittsam, ehrsam, demütig und fromm, bunte Kleidung galt als das Gegenteil. Das führte so weit, dass Schwarz zum Modetrend wurde, was den Moralisten der Zeit gar nicht gefiel, wie aus den Äußerungen Joachim Westphals deutlich wird:
„Schwartze farbe sol deuten Demut / wie wirs auch wol darzu gebraucht haben fuer Demut / aber itzund nimmer [...].“[7]Er kritisiert damit den Umgang mit der Farbe Schwarz zu Modezwecken und die damit verbundene Umkehr der Bedeutung solcher Kleider:
„Schwartz das sind die vertuesterte hertzen in aller suend und bosheit / ohne alle ware busse / denn schwartze farbe lest sich selten abwasschen und reinigen.“[8]Mit seiner Kritik bezieht sich Westphal zweifellos auf den im Mittelalter üblichen Gebrauch der Farbe Schwarz im Rahmen kirchlicher Kleidung und der Ordensgeistlichkeit. Dass diese Farbe ihre ursprüngliche Bedeutung nicht vollends verloren hat, zeigt sich an der Bevorzugung schwarzer Gewänder bei der Protestantenbewegung nach Luther und den Puritanern.
Was die Frage nach Farbigkeit in der zivilen Mode angeht, bleibt zu erwähnen, dass im beginnenden 16. Jahrhundert bereits wieder eine Gegenbewegung gegen die dunklen, gedeckten Farben entstand, nämlich bei den frühneuzeitlichen Landsknechten, die mit ihren bunten, „zerhauenen“[9] Kleidern für Aufsehen sorgten. Dieser Trend hielt bald auch Einzug in die zivile Mode, was wiederum die Moralisten mit ihren Kleiderordnungen auf den Plan rief, wieder ohne nennenswerten Erfolg.[10]
Um die bisherigen Erkenntnisse zu vervollständigen, soll an dieser Stelle ein Blick auf die Färbemethoden geworfen werden. Die aus diversen Wollproben extrahierten Farbstoffe stammten im späten Mittelalter aus drei leicht verfügbaren Pflanzen:
● Krapp (Färberröte), der Wurzel von rubia tinctorium,
● Reseda (gelb), das auch als Färberwau bekannt ist,
● Waid (blau), isatis tinctoria.[11]
Verbindet man diese Farbtöne miteinander, in Kombination mit unterschiedlichen metallischen Beizmitteln für die Haltbarkeit, kann man beinahe jede Farbe der Farbpalette herstellen:
„Gelb-, Orange- und Ockertöne, Gelbbraun, Oliv, helle und leuchtende Grüntöne, ein tiefes Blaugrün, diverse Blautöne von Indigo bis hin zum zartesten Himmelblau, Purpurrot, Malvenfarbe, Violett, Rosa oder leuchtende Rottöne; und wenn man alle drei Farbstoffe verwendet, zusammen mit Aluminiumnitraten als Beizmittel, erhält man sogar ein tiefes Schwarz.“[12]
Der Preis einer Farbe hing im 15. Jahrhundert stark davon ab, wie schwierig die Herstellung und wie aufwendig das Färbeverfahren war. Dabei kommt es immer wieder zu Verwirrung, weil Farben sowohl als teuer als auch als billig gelten konnten. Ein deutliches Beispiel ist wiederum die Farbe Schwarz. Der Berufszweig der Schwarzfärber, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereits als Traditionsberuf angesehen werden konnte, da er bereits in einer Regensburger Urkunde im Jahr 1259 Erwähnung findet,[13] färbte mit Hilfe von vergorenem Waid, Eisensulfat und Gerbstoffen. Daraus ergab sich ein Schwarz, das an ein ganz dunkles Graugrün, Braungrün oder Anthrazit erinnert. Darüber hinaus schädigte das Eisensulfit die Stofffasern und machte die Kleidung mürbe. Schwarzfärber waren deshalb in erster Linie dazu da, minderwertige Stoffe durch schwarze Farbe aufzuwerten, wie etwa billiges Leinen. Einen satten, tiefdunklen und haltbaren Schwarzton färbten nicht die Schwarzfärber, sondern die Schönfärber, die ihre drei Grundfarbtöne mischten. So gefärbte Stoffe waren sicherlich teurer als einfach gefärbte, doch in Anbetracht der Tatsache, dass Waid, Krapp und Färberwau keine teuren Färbemittel waren, sollten diese immer noch bezahlbar gewesen sein. Ähnlich verhält es sich mit doppelt gefärbten Stoffen, die einen satteren Farbton oder besondere Mischfarben aufweisen konnten. Ausnahmen bildeten hier natürlich die besonders extravaganten Färbemethoden, wie z.B. das Färben mit der Purpurschnecke, aus deren Sekret einer Drüse in der Mantelhöhle Purpurfarbstoff gewonnen werden kann.
[1] Burde, Christina: Bedeutung und Wirkung der schwarzen Bekleidungsfarbe in Deutschland zur Zeit des 16. Jahrhunderts, Diss., Bremen 2005, S. 40f.
[2] ebd., S. 37.
[3] Eisenbart, Lieselotte Constanze: Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350 und 1700. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Bürgertums, Göttingen, Berlin, Frankfurt 1962, S. 50.
[4] Burde, S. 10.
[5] Willi, Victor J.: Kulturgeschichte der Mode, in: König, René; Schuppisser, Peter W. (Hg.): Die Mode in der menschlichen Gesellschaft. Zweite Auflage. Zürich 1961, S. 9-100, S. 63.
[6] Burde, S. 15ff.
[7] Westphal, Joachim: Wider den Hoffartsteufel / DER itziger zeit / solchen pracht / vbermut / vnmass / vppigkeit / vnd leichtfertigkeit in der Welt treibet [...]. In: Stambaugh, Ria (Hrsg.): Teufelbücher in Auswahl. Dritter Band. Joachim Westphal: Hoffartsteufel. (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts. Unter Mitwirkung von Käthe Kahlenberg, herausgegeben von Hans-Gert Roloff. Teufelbücher in Auswahl.) Berlin, New York: de Gruyter, 1973, S. 202.
[8] ebd., S. 203.
[9] Mit zerhauen meinte man die Schlitze, die in der Mode der Landsknechte die Hosen und Wämser, sogar die Hüte und Schuhe zierten.
[10] Burde, S. 8.
[11] Key, Dave: Medieval Cloth. Cloth Types in the late 15th Century, in: Dragon 10, Basel 2000, S. 8.
[12] Embleton, Gerry; Howe, John: The Medieval Soldier, London 1994, S. 17.
[13] Reith, Reinhold; Vanja, Konrad: Färber, in: Reith, Reinhold (Hg.): Lexikon des alten Handwerks. Vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 1990, S. 71.