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Die fünf Wörter: Vor, Nach, Stärke, Schwäche und Indes

HEMA GLOSSAR
Kontextabhängige Beschreibungen zur Vor, Nach, Stärke, Schwäche, Indes und Fühlen.


Vor und Nach


Quelle - MS 3227a (20r-20v) Auch merke und wisse, wenn er (Lichtenauer) spricht: "Vor und Nach diese zwei Dinge tue, etc.".  Er nennt die fünf Wörter: Vor, Nach, Schwäche, Stärke, Indes.
An denselben Wörtern leitet (sich) alle Kunst Meister Lichtenauer (ab). Und das sind die Grundfesten und der Kern allen Fechtens zu Fuß und zu Ross, blos oder im Harnisch. "Er treffe oder fehle", wie Lichtenauer spricht: "Hau drein, hurtig dar, rasche hin, triff oder lass fahren" Mit dem Wort "Vor" meint er, dass ein jeglicher guter Fechter jedes Mal den Vorschlag hat und gewinnt, er treffe oder fehle. Wie Lichtenauer spricht: "hau drein und hart dran. Rasch hin, triff oder lass fahren." Wer er zum einem geht oder läuft, sobald bald der nun sieht, das er ihn mit einen Schritte oder einen Sprung erreichen mag, wo er ihn denn bloß sieht, so soll er hin fahren mit Freude, zum Kopf oder zum Leib. Künstlich (und) ohne alle Furch, (je nach dem) wo er ihn am gewissesten treffen wird, auf dass er so den Vorschlag gewinnt. Es tut ihm wohl oder weh.(…)

Wenn er nun den Vorschlag tut, trifft er, so folge der den Treffen feste nach. Wehrt er aber den Vorschlag, so dass er ihm dem Vorschlag mit seinem Hau oder Stich mit seinem Schwert abweist und leitet, (dann) während er dem immer noch an seinem Schwert ist, mit dem er abgewiesen wird von der Blöße die er angegriffen hat, so soll er gar eben fühlen und merken … werte weich oder hart, schwach oder stark sei.
Indem, (…) er nun wohl fühlt, ist das einer stark und hart ist, Indes er das nun gänzlich merkt und fühlt, so soll er indes – oder unter des, während sich jener schützt, weich und schwach da wieder sein und ihm denselben enden, das jener zu keinem Schlag komme. So soll er denn den Nachschlag tun. Das bedeutet, dass er zu haut, dieweil sich einer schützt und des Vorschlages wehret.

Mit seinen Hauen oder Stichen, so soll er andere Gefechte und Stücke hervorsuchen, mit denen er auch zu seinen Blößen haut und raschet. So dass er unbemerkt in Bewegung und in Berührung sei. Das er ihn also irre und verwirrt macht. Das jener mit seinem Schützen und Wehren, also viel zu schaffen hat. Das er, der Schützer zu keinem seinem Schlägen kommen mag.

(21v) Und das meint Lichtenauer mit dem Wort: Nach
Wenn einer den Vorschlag getan hat, so soll er zur Hand und unverzüglich, auf derselben Fahrt den Nachschlag tun. Und (er) soll immer in Bewegung und in Rührung sein, und immer Eines nach dem Anderen treiben. Wenn ihm das Erste fehl (geht), dann das Andere, das Dritte, oder das Vierte treffe. Und so (soll er) einen nicht kommen lassen zum Schlag.

Quelle - MS Dres.C. 487 (14v) "Vor" und "Nach", die zwei Dinge sind aller Kunst ein Ursprung.


Quelle - MS Germ.Quart.2020 (9r-9v) Du sollst vor allen Sachen zwei Dinge recht vernehmen und verstehen, das ist das Vor und das Nach (…)
Und danach das Wort Indes. Denn daraus kommt die ganze Grundlage aller Kunst des Fechtens. Was das Vor ist Das bedeutet, dass Du immer „Vor kommen sollst“, egal ob mit Hauen oder Stichen, früher als er. Und wenn Du eher kommst mit den Hauen oder sonstigen (Stücken), dann muss er Dich versetzen. Dann arbeite indes behändig in der Versatzung für Dich mit dem Schwert oder sonst mit anderen Stücken, so kann er zu keiner Arbeit kommen. Was das Nach ist (Das) ist der Bruch gegen alle Stücke und Haue, die man auf Dich treibt. Und das vernimm also: Wenn er früher mit dem Hau kommt als Du, so dass Du ihn versetzen musst, so arbeite indes behändig zur nächsten Blöße. So brichst Du ihm sein Vor mit Deinem Nach.

Drey Wunder Infos


  • Ein Fechter ist entweder im Vor, dann greift er den Gegenfechter an und dieser muss sich verteidigen werden.
  • Oder er ist im Nach, dann muss er den Angriff des Gegenparts versetzen, damit er nicht getroffen wird. Hier kommt noch einmal das taktische Konzept in der Deutschen Schule zum Ausdruck.
"Vor" ist in System Lichtenauer unbedingt anzustreben, denn es gilt: Wer angegriffen wird und sich verteidigen muss, kann nicht selber angreifen. Während im MS 3227a  klar gesagt wird, dass alleine der Vorschlag der beste Weg ist um ein Gefecht zu gewinnen, sind die anderen Autoren der Auffassung, dass auch im Nach zumindest eine Möglichkeit besteht.

Indes und das fühlen am Schwert


Quelle - MS 3227a (17r) Haue, Schlage, Schneide, Drücke, Lage, Schützen, Stoßen, Fühlen, Zucken, Winden und Hängen, Rücken, Streiche, Springe, Greifen, Ringen. Das Fühlen lerne. Indes das Wort schneidet sehr.
(22v) Darum Fechter lerne wohl fühlen, denn Lichtenauer spricht. "Das Fühlen lerne, Indes – das Wort schneidet sehr". Wenn Du einem am Schwert bist und fühlst nun wohl ob einer schwach oder stark ist am Schwert. Indes, oder dieweil so magst Du denn wohl trachten und wissen, was Du gegen ihn tun sollst. Nach dieser vorher gesprochenen Lehre und Kunst, kann er sich nicht abziehen vom Schwert ohne Schaden, denn Lichtenauer spricht: "Schlage so, dass er schnaube, wer sich von Dir abzieht." (…) Kommst Du denn mit ihm an das Schwert, so sei sicher in dem Fühlen und tue was vorher geschrieben steht. Denn das ist die Grundlage des Fechtens, das ein Mann immer in Bewegung ist und nicht verweilt, wenn er an das Fühlen kommt.
(20v) (dann) währen er dem immer noch an seinem Schwert ist, mit dem er abgewiesen wird von der Blöße die er angegriffen hat, so soll er gar eben fühlen und merken ob einer in seinem Ableiten und Schützen der Haue oder Stiche, an seinem Schwerte weich oder hart, schwach oder stark sei. Indem, (…) er nun wohl fühlt, ist das einer stark und hart ist, Indes er das nun gänzlich merkt und fühlt, so soll er indes – oder unter des, während sich jener schützt, weich und schwach dawieder sein und ihm denselben enden, das jener zu keinem Schlag komme. So soll er denn den Nachschlag tun.Das bedeutet, dass er zu haut, dieweil sich einer schützt und des Vorschlages wehret. Mit seinen Hauen oder Stichen, so soll er andere Gefechte und Stücke hervorsuchen, mit denen er auch zu seinen Blößen haut und raschet. So dass er unbemerkt in Bewegung und in Berührung sei. Das er ihn also irre und verwirrt macht.

Quelle - MS Dres.C. 487(16v) Und wenn Du die Dinge recht verstehst, so magst Du mit Kunst wohl arbeiten und Dich damit wehren. Und dafür lernen Fürsten und Herren, damit sie mit der selbigen Kunst wohl bestehen mögen, im Schimpf und im Ernst.
(38v-39v) Das bedeutet, dass Du sobald Du es empfindest, behendlich, nach dem Weich und nach dem Hart, mit dem Schwert arbeiten sollst, zu den nächsten Blößen. So wird er geschlagen, eher er es gewahr wird.
Also sollst Du an das Wort "Indes" in allen Anbinden des Schwertes gedenken, denn:"indes" dupliere und
"indes" mutieren,
"indes" lauf durch und
"indes" nimm den Schnitt,
"indes" ring mit
"indes" nimm ihm das Schwert
"indes" tue in der Kunst was Dein Herz begehrt.
"Indes" ist ein scharfes Wort, mit dem alle Fechter verschnitten werden,die von dem Wort nichts wissen. Und das Wort "Indes" ist auch der Schlüssel, mit dem alle Kunst des Fechtens aufgeschlossen wird.

(38r-38v) Von dem Fühlen und von dem Wort "Indes". Das Fühlen lerne. "Indes", das Wort schneidet sehr. Das bedeutet, dass Du das Fühlen und das Wort "Indes" wohl lernen und verstehen sollst. Denn die zwei Dinge gehören zusammen und sind die große Kunst zu dem Fechten. Und das vernimm wenn Einer dem Anderen an das Schwert bindet, so sollst Du (…), wenn die Schwerter zusammen klitzen, (…) sofort fühlen, ob (er) weich oder hart angebunden hat. Und sobald Du das empfunden hast, so denke an das Wort "Indes". Das bedeutet, dass Du sobald Du es empfindest, behendlich, nach dem Weich und nach dem Hart, mit dem Schwert arbeiten sollst, zu den nächsten Blößen. So wird er geschlagen, eher er es gewahr wird.

Quelle - MS Germ.Quart.2020  (9rWenn Du die Dinge recht vernimmst und verstehst und dazu das Wort „Indes“ nicht vergisst in allen Stücken, die Du treibst, so bist Du wohl ein guter Meister des Schwerts und kannst Fürsten und Herren lehren, so dass sie mit der richtigen Kunst des Schwertes gut kämpfen können (im Spiel) und im Ernst.

(46r) Und wenn Du das gefühlt hast, so musst Du indes arbeiten nach dem Weich und dem Hart am Schwert. Also sind sie beide nichts als ein Ding und das Wort Indes, das ist immer an allen Stücken.
Und das vernimm also:
Indes dupliert,
Indes mutiert,
Indes wechselt durch,
Indes läuft durch,
Indes nimmt den Schnitt,
Indes ringt,
Indes nimmt das Schwert,
Indes tut was Dein Herz begehrt.
Indes ist ein scharfes Wort, mit dem alle Meister des Schwertes verschnitten werden, die das Wort nicht kennen oder vernehmen. Das ist der Schlüssel der Kunst.

(45v) Hier merke die Lehre von dem Fühlen und von dem Wort, das heißt Indes Text Das Fühlen lerne, „Indes“, das Wort schneidet sehr.
Wenn Du mit dem Zufechten zu ihm kommst und einer dem Anderen an das Schwert bindet, so sollst Du, wenn die Schwerter zusammen glitzen, sofort fühlen, ob er weich oder hart angebunden hat und sobald Du das empfunden hast, so erinnere Dich an das Wort „Indes“, damit Du im gleichen Augenblick, in dem Du das empfindest, geschickt am Schwert arbeitest. So ist er geschlagen, bevor er es merkt.
Merke: Dass das Fühlen und das Wort Indes ein Ding sind und eins ohne das Andere nicht sein mag. Und das vernimm also, wenn Du ihm an sein Schwert bindest, so nimmst Du zur Hand mit dem Wort Indes (das) Fühlen, ob er am Schwert weich oder hart ist. Und wenn Du das gefühlt hast, so musst Du indes arbeiten nach dem Weich und dem Hart am Schwert

Drey Wunder Infos
Indes ist mehr ein Konzept oder eine Strategie, als eine reine Fechtzeit. Die drei Quellen sind an dieser und an vielen anderen Stellen so ähnlich, dass sie entweder die Manuskripte des jeweils anderen kannten und als Vorlage gebraucht haben, oder es gab einen gemeinsamen Urtext, aus dem alle drei Ihre Fechtbücher entwickelt haben. Wichtige Eckpunkte dabei:
  • Indes sollst Du handeln, damit Du im Vor bleibst.
  • Indes sollst Du handeln, damit Du ins Vor kommst.
  • Indes und Fühlen sind eng mit einander verbunden. Erst das Fühlen ermöglicht Indes zu handeln, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren.

Hart und Weich am Schwert


Quelle - MS 3227a (21v-22vWenn aber einer an dem Schwerte bleibt, wenn er mit seinem Wehren und Schützen, diesem an sein Schwert gekommen ist, und so es also vorgezogen hat, (…) ihm an dem Schwert zu bleiben und den Nachschlag noch nicht getan hat, so soll dieser winden und mit ihm also an dem Schwert stehen und soll gar eben merken und fühlen, ob einer schwach oder stark ist an dem Schwerte. In dem er dieses merkt und fühlt, dass einer stark, hart und fest an dem Schwert ist, und diese nun meint sein Schwert (zu ihm) hin (zu) drängen, so soll dieser denn schwach und weich dagegen sein. und soll seiner Stärke weichen (…) geben und soll ihm sein Schwert (dahin fahren) lassen (…) mit seinem (Ein)Dringen, dass er tut und diese soll denn sein Schwert schnell abgleiten lassen und überziehen, bald und rasch und soll schnell, gegen seine Blößen dahin fahren, zum Kopf oder zum Leib mit Hauen, Stichen und Schnitten, wo er nur am Nächsten und Besten mag zukommen.

Wenn er härter und stärker hinein dringt und drückt mit seinem Schwert und dieser denn schwach und weich dawider ist und sein Schwert abgleiten lässt und ihm also weicht. Je fester und je weiter jener sein Schwert weg prellt, dass er dann gar bloß wird, so dass denn dieser nach Wünschen mag treffen und rühren, so dass er sich selbst keinen Hau oder Stich einholen mag. Ist aber einer an dem Schwert schwach und weich, und das dies dieser nun wohl merkt und fühlt, so soll dieser stark und hart dagegen sein, am dem Schwert. Und soll denn mit seinem Ort stark an dem Schwert hinfahren und raschen hinein in die Blößen gleich vorne zu, wo er am nächsten mag. Gleich so, (als währe) an eine Schnur oder (ein) Faden vorne an sein Ort festgebunden, der ihm seinen Ort auf das Näheste weist zu einer Blöße. Und zu derselben steche. Wird er es wohl gewahr, das einer so schwach ist in seinem Schwert, dann lasse also eindringen und lasse treffen.

Ist er aber stark und wehrt den Stich und leitet ihn ab. Das heißt, dass er wieder stark wird, an dem Schwert und deshalb sein Schwert abweist und den Stich wehrt. (Das bedeutet, das er) also (…) sein Schwert fest hin dringt, so soll dieser wieder schwach und weich dagegen werden. Und soll sein Schwert abgleiten lassen und ihm weichen. Und seine Blößen reichlich suchen, mit Hauen, Stichen oder mit Schnitten, wie er nur mag. Und das meint Lichtenauer mit den Worten: Weich und Hart. Und das kommt von der Autorität. Also Aristoteles spricht in Buch "peryarmenias opposita iuxat se posita magis elucesunt vel exposita oppositorum cui autem / Schwach werde stark / hart werde weich und umgekehrt.
Wenn Stark gegen Stark gesetzt wird, dann siegt allemal der Stärkere. Darum stellt Lichtenauers Fechten eine rechte und wahrhaftige Kunst dar, das ein schwacher mit seiner Kunst und List sicherer siegt, als ein Starker mit seiner Stärke, das kann keine andere Kunst. Darum Fechter lerne wohl fühlen, denn Lichtenauer spricht. "Das Fühlen lerne, Indes – das Wort schneidet sehr".
Wenn Du einem am Schwert bist und fühlst nun wohl ob einer schwach oder stark ist am Schwert. Indes, oder dieweil so magst Du denn wohl trachten und wissen, was Du gegen ihn tun sollst.
Nach dieser vorher gesprochenen Lehre und Kunst, kann er sich nicht abziehen vom Schwert ohne Schaden, denn Lichtenauer spricht: "Schlage so, dass er schnaube, wer sich von Dir abzieht."

(20r-20v) Wehrt er aber den Vorschlag, so dass er ihm dem Vorschlag mit seinem Hau oder Stich mit seinem Schwert abweist und leitet, (dann) wären er dem immer noch an seinem Schwert ist, mit dem er abgewiesen wird von der Blöße die er angegriffen hat, so soll er gar eben fühlen und merken … ob einer in seinem Ableiten und Schützen der Haue oder Stiche, an seinem Schwerte weich oder hart, schwach oder stark sei. Indem, (…) er nun wohl fühlt, (…) das einer stark und hart ist, Indes er das nun gänzlich merkt und fühlt, so soll er indes – oder unter des, wärend sich jener schützt, weich und schwach dawieder sein und ihm denselben enden, das jener zu keinem Schlag komme. So soll er denn den Nachschlag tun. Das bedeutet, dass er zu haut, dieweil sich einer schützt und des Vorschlages wehret.

Drey Wunder Infos
Stärke und Schwäche sind Teile an der Klinge des Schwertes. Je nachdem, wo an dem Schwert angebunden wurde, ist man entweder an der Stärke oder an der Schwäche. Hart und Weich sind Verhaltensweisen des Gegenfechters. Er kann hart oder weich am Schwert sein:
  • Wenn er hart am Schwert ist: Drückt er gegen dein Schwert und versucht es zu kontrollieren. Im günstigsten Fall versucht er Dein Schwert vollständig zur Seite zu drücken. 
  • Wenn er weich am Schwert ist:  Gibt er deinem Druck nach. Er versetzt dabei Deinen Ort so, dass Du ihn nicht treffen kannst.